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Der Wecker klingelt, Stunden vor der Dämmerung. Im Schein meiner Nachttischlampe ziehe ich mich an. Zum Frühstück bestreue ich mein Toastbrot mit Glitzer, damit ich den ganzen Tag strahlen kann. Aber das ist nur Fassade. Mein Lächeln will mir heute nicht so recht gelingen, genauso wie gestern. Meine Gedanken schaffen es nicht, auszubrechen und ich fühle mich verloren, weil alles beim Alten ist, obwohl sich doch gleichzeitig alles geändert hat. Ich nehme die Tram, fahre der Dämmerung entgegen. Der lilane Himmel breitet seine Arme über der Rhône aus und nimmt Lyon in seine Arme.

Ich komme in der Uni an und gehe meinem Alltag nach. Die Treppe hoch, durch den Innenhof, Türklinke runter, rein in den Vorlesungssaal, die Wangen gerötet von der Kälte. Der Füller ist gezückt, ich bin bereit, und die Franzosen um mich herum packen eifrig ihre Laptops aus. Ich mag meine Kurse, ich habe schöne Pläne für den Nachmittag. Gerade deshalb kann ich mir nicht erklären, warum mich dieses dunkle Gefühl nicht verlässt. Wie meine persönliche Dämmerung umfängt es mich seit Tagen, und ich wünsche mir auch eine Umarmung vom Himmel. Gefangen in meinen Gedanken warte ich darauf, aus den dunklen Wolken fallen zu können. Ich liebe den Mond in diesen Tagen zu sehr, um die Sonne wahrzunehmen. Ein Kommilitone meldet sich und ich schrecke aus meinen Gedanken hoch. Bisher habe ich die Mehrheit der französischen Studenten eher als zurückhaltend kennen gelernt. Manche erscheinen mir gar kalt und abweisend. Aber es gibt immer ein Gegenteil.

Das Gegenteil – ein französischer Student – hat ein Problem mit seinem Deutsch, und deshalb helfe ich ihm. Daraus entwickelt sich ein langes Gespräch. Er erzählt viel aus seinem Privatleben, hat keine Angst, ganz offen zu sein. Er lacht die ganze Zeit zwischen seinen Sätzen, und kann allem etwas Positives abgewinnen. Während des Gesprächs gibt es einige Hinweise, die darauf hindeuten, dass es nicht immer nur einfache Zeiten gab. Und trotzdem – selbst während er davon spricht – ist da immer dieses Strahlen, dieses innere Leuchten, das ich wahrnehme, obwohl ich ihn kaum kenne. Er redet voller Begeisterung von den Dingen, für die er brennt. Seine Augen leuchten, wenn er von seinem kleinen Bruder spricht.

Nach unserer Unterhaltung bin ich erstaunt darüber, wie viel Lebensfreude ein Mensch ausstrahlen kann. Ich fühle mich beschwingt und inspiriert, fange an zu glitzern. Ich weiß jetzt, dass ich in Zukunft auch so ein Mensch sein will, der wildfremde Menschen zum Lächeln bringt. Der dem Mond einen Gute-Nacht-Kuss gibt und ihnen die Sonne zeigt. Ich will ein Gegenteil sein.

Warum lächeln wir? Weil wir glücklich sind. Und zwar jetzt. Diese Unterhaltung war der Schubs, den ich gebraucht habe. Ein Schubs in die richtige Richtung. Ein Abschied von der Melancholie. Die Dämmerung lässt mich los.

Und dann: ein breites Lächeln. Es ist echt.

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Bilder via Pinterest.

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